Brüder im Süden – Kultur

Das Wort geht heute zu Fuß

Ich möchte euch jetzt erzählen, was mir meine Brüder im Süden über die Kultur gsagt haben. Des war wieder kein Gespräch im eigentlichen Sinn. Ich bin spazieren gegangen, irgendwo. Und wieder hab i sie gfragt, die zwei: Kultur, hab ich gfragt, Kultur, was bedeutet des denn für Euch? Ich hab geschaut. Ich hab gewartet. Es war eher ein Lauschen, ein Wahrnehmen. Und dann hab‘ ich sie gehört. Ich beginne wieder mit dem Hochfelln.

Ich habe viele Spuren empfangen, hat er gsagt. Und viele von den Spuren hab ich behalten. Manchmal vergehen sie mit der Zeit aber manchmal brennen sie sich halt auch in meine Haut aus Leben, wie eine Tätowierung.

Ich erinnere mich noch genau an die ersten Wege, es is no ned so lang her. Ihr nennt des Steinzeit. Des war die Zeit als die ersten von Euch kamen, mit dem im Gepäck was ihr Kultur nennt. Zögerlich, fast ehrfürchtig waren die damals. Später dann kamen die Senner mit dem Vieh, dann die Wege , dann die Markierungen, Beschilderungen und die Wanderkarten. Schneisen, Stützen, Schilder, die Seilbahn ist gekommen. Und Eure Stimmen, die Lieder, das Jodeln, sogar in Seminaren.

So bin ich zu einem Bild geworden. Zu einem Postkartenmotiv. Einem Ausflugsziel. Einem Beitrag im Fernsehen und heute? Heute postet ihr Bilder auf Facebook und Insta, ihr digitalisiert mich, oder besser gesagt ihr versucht mich zu digitalisieren. Ich bin auch ein Veranstaltungsort geworden. Ich trage das alles mit Fassung. Aber ich vergesse halt auch nichts.

Die Kultur, das ist das, was ihr Menschen mir auflegt. Ihr kleidet mich in Bedeutung. In Geschichten, in Namen, in Feste. Ihr bringts eure Ideen mit. Und ich bin das, worauf ihr eure Kultur stellt. Manchmal tanzt ihr auf mir. Manchmal bohrt ihr in mich rein. Manchmal ruht ihr euch auf mir aus. Ich bin Bühne. Und ich bin Zeuge Eures Tuns.

Und der Hochgern? Der hat nicht geantwortet. Zumindest nicht gleich. Er hat lang geschwiegen. Aber in dem Schweigen hab ich ihn dann doch gehört. Kultur, sagt er, ist für mich wie der Tau am Morgen. Sie legt sich nieder und dann verschwindet sie wieder. Aber manchmal bleibt halt auch etwas hängen. Ein Stückl Zaun. Ein abgestellter Schlitten. Oder eine Alm, die jemand erhalten hat. Oder eine andere, die verfallen ist weil sie sich nicht mehr rentiert. Ich bin kein Monument. Ich bin Gedächtnis. Und ich erinnere mich an Stimmen. An Rufe. An Stille. Die Kultur von euch Menschen ist flüchtig. Aber sie ist auch schön. Ich lächle, wenn ihr singt. Ich lausche, wenn ihr schweigt. Ich trage das, was ihr mir bringt und vieles davon gefällt mir.

Und ich vergesse nichts. Auch dann werd ich nichts vergessen, wenn ihr schon lange weitergezogen seid.

Invitatio ad actum
Vielleicht möchtest du ja auch selber einmal hinschauen: Welche Spuren hinterlässt du im Land, im Leben, im Leben der anderen? Vielleicht magst du es aufschreiben, zum Beispiel in dich hinein. Oder auch in unser Buch der Stimmen. Du bist herzlich eingeladen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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