Wer in München zwischen Kaufhausketten, Modeboutiquen und Coffee-to-go eine Jesuitenkirche aufsucht, der hat entweder ein besonders gutes Gedächtnis für Architektur oder ist einfach versehentlich hineingestolpert. Und stolpern darf man durchaus. Und staunen auch, denn die Michaelskirche steht nicht da, nein, sie tritt auf. Mitten in der Fußgängerzone erhebt sie sich wie ein barockes Manifest, das sich noch als Renaissance tarnt aber doch längst weiß wohin die Reise geht: Nach oben. Und nach innen.
Diese Kirche war nicht irgendein Gotteshaus sondern ein kulturgeschichtlicher Paukenschlag mit Weihraucharoma. Gebaut wurde sie Ende des 16. Jahrhunderts im Auftrag von Herzog Wilhelm V., einem frommen Mann mit einem Faible für italienische Architektur und machtvolle Symbolik. Man könnte sagen: Wilhelm wollte Rom, hatte aber München. Also baute er sich halt Rom eben in München nach. Aber nicht klein und bescheiden sondern mit allem, was so eine Gegenreformation halt hergab: Predigtkanzel, Hochaltar und ein Raumkonzept, das den Gläubigen nicht in Grübeleien verstrickte, sondern ihn frontal konfrontierte. Wer hier drin saß der wusste sofort: Das hier ist kein Ort des Zweifelns, das ist die Kommandozentrale des Himmelsmarketings.
Und wer ließ das alles bauen? Wer? Natürlich die Jesuiten! Wer sonst? Damals nicht nur Mönche in gut gebügelten Soutanen, sondern die strategischen Vordenker einer Kirche, die gerade ihre zweite Jugend durchlebte. Die Jesuiten bauten nicht einfach Kirchen, nein, sie inszenierten Überzeugung. Wenn man so will dann war die Michaelskirche ihre Bühne mit perfekter Akustik, klarer Blickführung und einem Deckengewölbe das einen förmlich anschreit: Hier spricht der Himmel. Natürlich nicht flach sondern in Kuppeln, Gewölben und perspektivisch gestaffelten Lichtachsen. Selbst das Gotteslob ist hier raumgreifend.
Im Inneren trifft man auf eine ganz eigene Ordnung der Dinge. Keine gotische Verspieltheit mehr und auch keine mittelalterliche Düsternis, stattdessen eine klar gezogene Achse vom Portal bis zum Hochaltar. Ein Blick, eine Richtung, eine Wahrheit. Und mittendrin die Kunst. Und das nicht dezent versteckt sondern in Erz gegossen, in Gold gefasst, in Holz geschnitzt. Der Bildhauer Hans Krumpper etwa, ein Künstler von höfischer Herkunft, brachte nicht nur Marmor zum Sprechen, sondern auch das nötige barocke Raunen in die Skulptur. Seine Figuren sind nicht bloß da, das sind welche die zeigen sich! Als wollten sie sagen: Ich bin fei ein Heiliger und das sieht man auch.
Noch aufsehenerregender wirkte Hubert Gerhard. Der war ein Niederländer mit italienischem Feinschliff. Er hat dem Erzengel Michael das Schwert in die Hand gedrückt und hat ihn dann – sehr bayerisch – auf den Giebel gestellt. Wo sonst Löwen hocken oder Neidköpfe sabbern, da steht jetzt hier der himmlische General und zeigt der Ketzerei den Weg, wo’s nach unten geht. Und das nicht als frommes Relief sondern als plastische Drohung in Bronze. Inzwischen steht der Michael drinnen, wegen der Witterung, der Tauben und halt auch wegen dem Denkmalschutz. Aber seine Botschaft ist dieselbe geblieben.
Der Raum selbst wirkt wie ein gewaltiger Predigtverstärker. Kein Pfeiler stört die Sicht, keine Nebenkapelle lenkt ab. Hier redet das Zentrum. Il Gesù lässt grüssen. Die Gläubigen sitzen dann in Reih und Glied als wären sie aufgestellt zur letzten Belehrung vor dem Himmel. Man könnte fast meinen die Kirche wurde gebaut, nicht um Gott zu ehren, sondern um zu verkünden: da gehts lang in’s Himmelreich. Und alles ist drin gewesen, was die Kunst damals zu bieten hatte.
Auch politisch war die Kirche mehr als ein Gebetshaus. Wilhelm V., der Bauherr, der wollte nicht nur den Glauben befestigen, nein, er wollte gleich ganz Bayern als Bollwerk der Gegenreformation etablieren. Sein Sohn, der Maximilian I., später Kurfürst, verstand die Symbolkraft dieser Kirche ziemlich gut und prompt hat er sie genutzt (wie man heute sagen würde) als strategische Marke. Da wo die Gotik noch suchte verkündete der frühe Barock schon die Antwort und zwar mit Trompete, Fresko und vergoldetem Schwert. Jawoll!
Die Michaelskirche war also der Prototyp. Hier begann das was später in Ottobeuren, Weltenburg oder bei den Asams in eine Orgie aus Farbe, Licht und Himmelsdurchbruch übergegangen ist. Sie ist natürlich noch nicht verspielt wie das Rokoko, auch nicht so üppig wie Ruben. Sie ist kontrolliert, konzentriert und voller Anspannung, grad wie so ein Bogen kurz vor dem Abschuss.
Und genau deshalb wirkt sie auch heute noch. Sie ist kein Museum, keine Reliquie, die Michaelskirche ist eine spürbare Kraft. Wer sie betritt, der hört das Echo der Schritte aus 400 Jahren. Und das Flüstern der Engel, die eigentlich lieber rufen würden.
Ja, diese Kirche war ein Startschuss. Nicht nur für die bayerische Barockkunst, sondern vielmehr für eine Art zu glauben. Sie erklärt: Schönheit ist Wahrheit. Und die Wahrheit braucht letztlich auch eine gute Kulisse.
Wenn man also fragt, wo der bayerische Barock seinen ersten großen Auftritt hatte, dann nicht bei den Asams, auch nicht in Passau oder Augsburg, sondern genau hier: zwischen Kaufingerstraße und Rindermarkt. Wo ein Erzengel einmal von oben kam, um die Bühne frei zu machen. Und das hat er bis heute nicht bereut. So.