Ich stehe hier, wo der Weg ein wenig schmaler wird
und das Grün die Luft dichter macht.
Der Stein, der mich hält, ist alt.
Er weiß von Nächten ohne Mond
und von Vormittagen, an denen der Tau
wie leises Glas auf den Blättern lag.
Ich bin nicht groß.
Mein Kleid ist Blau und Rot,
aber die Jahre haben daran genagt,
wie Wasser an einer Kante nagt.
Das macht nichts.
Farbe ist nicht mein Amt.
Mein Amt ist Nähe.
Du setzt dich manchmal auf die Bank vor mir.
Sie ist nicht schön, aber ehrlich:
Sie sagt nichts, sie trägt einfach.
So will ich sein.
Ich trage dich, wenn du dich nicht tragen magst,
ohne Aufsehen, ohne Rechnung, ohne Fragen.
Ich habe ein Kind im Arm,
und doch halte ich mehr als dieses Kind.
Ich halte das Zittern deiner Hände
und den kleinen Mut, der jeden Morgen neu beginnt.
Ich halte die Sätze, die du nicht sagen kannst,
und das Lachen, das du dir verkniffen hast,
damit niemand merkt, wie sehr du weinst.
Manchmal kommst du im Regen.
Dann rinnt die Welt in dünnen Fäden
die Nische hinab, und ich denke:
So weinen die Tage, wenn sie zu schwer sind.
Manchmal kommst du in der Hitze,
und die Luft steht still;
dann höre ich dein Atmen,
wie man in der Ferne einen Brunnen hört.
Ich brauche keinen Weihrauch.
Der Efeu genügt mir.
Er betet, indem er wächst.
Das Moos spricht langsam,
aber es vergisst nicht.
Und die kleinen weißen Blumen
unter meinem Bild –
sie sind nicht für mich gemalt,
sie sind für das, was in dir hell bleibt,
wenn die Welt dunkel wird.
Du fragst, was ich dir geben kann.
Ich kann dir nicht versprechen,
dass alles gut wird.
Aber ich kann dir zeigen,
dass das Gute bleiben will.
Es bleibt im Rhythmus der Schritte,
die kommen und gehen.
Es bleibt im Holz, das rau ist
und dennoch trägt.
Es bleibt im Blick,
den du dir selbst schenkst,
wenn du die Stirn an die Hände legst
und einmal nicht stark sein musst.
Wenn du vorbeikommst,
leg deinen Rucksack neben dich
wie ein Tier, das schlafen darf.
Du musst nichts sagen.
Sag höchstens: „Ich bin da.“
Das ist ein altes Gebet,
und es hat noch immer Kraft.
Ich bin die Mutter der Nähe,
nicht der Distanz.
Ich bin die Hüterin der Pausen,
nicht der Eile.
Ich bin das leise Ja
zwischen zwei schweren Sätzen.
Ich bin die Hand, die nicht loslässt,
auch wenn du glaubst,
dass du allein gehst.
Und wenn du wieder aufstehst,
nimm ein wenig von meinem Stillsein mit.
Trage es wie einen unsichtbaren Schal,
der nicht wärmt und doch schützt.
Trage es in deinen Streit,
in deine Arbeit, in dein Lachen.
Trage es dorthin,
wo einer vergessen hat,
wie man freundlich ist –
und fang bei dir an.
Ich stehe hier, ich werde hier stehen,
solange das Grün atmet
und der Stein nicht müde wird.
Komm, so oft du willst.
Ich kenne deinen Namen nicht,
aber ich kenne deinen Schritt.
Und jedes Mal, wenn du gehst,
lege ich dir – still und ohne Worte –
einen Segen in den Rücken,
damit der Weg dich nicht verliert.
(Text von Jochen Nistler)
✧ Verfasst am 2. September 2025
Die Säule mit der Maria findest du hier.
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