Die zwei Gockel

über das Rechthaben im Staub des Hofs

Weisst du …

… es gab einmal zwei Gockelhähne auf demselben Bauernhof. Der eine war rot, der andere schwarz, aber beide glänzten, als hätte man sie mit Öl bestrichen. Ihre Sporen waren scharf, ihr Blick durchdringend. Und sie krähten nicht nur morgens – sie krähten den ganzen Tag. Nicht, um den Tag zu wecken, sondern um sich selbst zu behaupten.

Eines Tages fanden sie etwas auf dem Hofboden. Es war ein glänzender Knopf – rund, glatt, golden. Der rote Hahn sagte: „Das ist der verlorene Knopf vom Rock des Bauern. Ich habe ihn zuerst gesehen. Ich bring ihn zurück.“ Der schwarze Hahn schnaubte: „Unsinn. Das ist der goldene Glücksknopf der Henne Frieda. Ich hab ihn wiedererkannt. Ich bring ihn zurück.“ Und da begannen sie zu streiten. Sie krähten, sie flatterten, sie liefen umeinander im Staub, warfen Worte wie Körner, hackten mit Blicken, fochten mit Hälse-strecken und Flügelspreizen. Jeder war sich sicher. Jeder hatte Recht. Und das hatten sie auch. Denn: Der rote Hahn hatte den Bauern gesehen, wie er neulich über den Hof gestolpert war – ein Knopf hatte gefehlt. Und: Der schwarze Hahn hatte gehört, wie Frieda weinte – sie hatte ihren Glücksknopf verloren. Der Knopf war derselbe. Die Geschichten waren zwei.

Sie stritten den ganzen Vormittag, bis die Sonne stand. Und niemand kam. Die Kühe wiederkäuten. Die Schweine schliefen. Die Hühner scharrten weiter. Kein Tier mischte sich ein. Als die Schatten kürzer wurden, legte sich der Staub. Die beiden Hähne standen erschöpft da. Keiner hatte gewonnen. Der Knopf lag noch da. Er glänzte. Da kam die alte Ziege vorbei. Sie sagte nichts. Sie nahm den Knopf mit den Lippen auf, legte ihn in eine leere Futterschale – und ging weiter.

Die Hähne sahen ihr nach. Dann sahen sie sich an. Und plötzlich war es still. Denn keiner hatte Unrecht. Und keiner hatte Recht behalten. Und der Knopf – der lag jetzt da, wo er gesehen werden konnte. Von allen. Von keinem allein.

So war das. Mehr war nicht. Weniger auch nicht.