Glosse: Jakobus und die Wahrheit der guten Lüge

Gemälde des heiligen Jakobus mit rotem Mantel, grünem Gewand, Pilgerstab mit Muschel und Buch vor goldenem Hintergrund

Es gibt Fake News die verschwinden nach einer Nacht aus den Timelines. Und es gibt Fake News die halten sich über zwölf Jahrhunderte und schicken bis heute Hunderttausende in Funktionsjacken auf den Weg nach Westen. Der heilige Jakobus, jener Apostel der historisch nie einen Fuß auf spanischen Boden setzte, ruht seit dem 9. Jahrhundert offiziell in Santiago de Compostela wo man sein Grab entdeckte, genauer gesagt: erfand. Und siehe da: Aus dieser durchschaubaren Legende entstand ein Weltkulturerbe, ein spiritueller Massentourismus, ein europäisches Nervensystem aus Wegen, Herbergen und Kathedralen das seinesgleichen sucht.


Das Absurde der modernen Sinnsuche

Man muss sich das einfach nur einmal vorstellen: Ein Apostel der vor knapp zweitausend Jahren in Jerusalem enthauptet wurde, taucht achthundert Jahre später wie durch ein Wunder in einem galicischen Acker wieder auf. Und seither folgen ihm Heerscharen. Heute pilgern Manager mit Schrittzählern, Studenten mit GoPro, Yogalehrerinnen mit Klangschale im Rucksack. Sie alle marschieren der größten mittelalterlichen „Falschmeldung“ hinterher und zahlen dafür gern im Voraus: für Pilgerpässe, GPS-Routen oder auch vegane Pilgermenüs. Alles machbar.

Am Wegesrand warten inzwischen „authentische“ Souvenirshops, in denen man für 29,90 Euro die Jakobsmuschel aus Plastik erwerben kann, made in China, selbstverständlich fairtrade. Der moderne Pilger stempelt seinen Ausweis, lädt den Beweis auf Instagram hoch und glaubt fest daran sich gerade selbst zu finden. Das ist insofern bemerkenswert, als die Route mit gelben Pfeilen durchgehend markiert ist: eine Sinnsuche mit Wegbeschreibung, eine existenzielle Krise im Paketpreis.

Und während man in Talkshows die Macht von Fake News beklagt, läuft gleichzeitig ein Heer in Funktionsjacken einem erfundenen Grab entgegen und das voller Ernst, voller Sehnsucht, voller Hingabe.


Die Kippbewegung

Und doch man wäre töricht, das alles nur belächeln zu wollen. Denn während andere Falschmeldungen Hass säen und Demokratien zerfressen bringt dieses uralte Gerücht Menschen dazu, ihre Schuhe zu schnüren, ihre Telefone auszuschalten und 800 Kilometer lang dem eigenen Atem zu lauschen. Eine Lüge, die Kathedralen hervorbrachte, ist weiss Gott keine gewöhnliche Lüge.

Vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis: Dass ein erfundenes Grab nicht weniger Wirkung hat als ein echtes. Dass eine Geschichte auch wenn sie niemals „wahr“ war trotzdem Wahrheit stiften kann. Wer in Santiago ankommt hat den eigenen Körper gespürt, hat Wind, Staub und Sternenhimmel erfahren, ganz wahr und direkt. Das Grab des Jakobus mag vielleicht eine Fiktion sein aber die Transformation des Pilgers ist real. Sie passiert wirklich.


Ein Respekt dem Heiligen

Am Ende könnte man also sagen: Es gibt Fake News, die verderben die Welt und es gibt jene, die sie begehbar machen. Jakobus war nie in Spanien, doch Millionen sind es seither gewesen. Und vielleicht ist genau das die tröstliche Pointe: Die Wahrheit mag uns frei machen – aber manchmal bringt uns die gute Lüge immerhin bis nach Compostela und was wir Menschen immer brauchen, das sind Geschichten, egal ob wahr oder erfunden: gut müssen sie sein.

Und gerade dafür, heiliger Jakobus, gebührt dir unser Respekt. Nicht für deine historischen Meriten die tatsächlich eher bescheiden sind, sondern für die Macht deiner Geschichte die noch immer Wege bahnt. Wer Millionen Menschen über Jahrhunderte in Bewegung setzt, hat mehr gewirkt als so mancher Kaiser. Respekt!

Hinweis: Tag des offenen Denkmals 2025
am 14. September um 14:00 Uhr ermittelt der finnische Kriminalkommissar Joki Vatanen
(also ich, Jochen Nistler, in seiner Rolle) in der Kirche St. Jakobus, Bernhaupten. Wer Lust hat, vorbeikommen. Vorher um 11:00 Uhr St. Margaretha in Einharting.