Das Kruzifix in der Filialkirche St. Margaretha in Einharting gehört zu den wenigen romanischen Holzbildwerken des Chiemgaus, die sich bis in unsere Zeit erhalten haben. Seine Entstehung datiert in die späte Romanik, wohl um um 1200, und steht nach stilistischen Kriterien in mittelbarer Nachfolge des berühmten Forstenrieder Kruzifixus, der nach alter Überlieferung aus dem Kloster Seeon stammen soll.
Der Kunsthistoriker Dr. Herbert Weiermann beschreibt das Werk im Heimatbuch des Landkreises Traunstein II (Kultur- und Kunstgeschichte) als „künstlerisch schwächeren Gekreuzigten“ im Vergleich zum Forstenrieder Vorbild, jedoch als bedeutendes Zeugnis der Übergangszeit von der triumphalen Christusdarstellung der Romanik hin zur mitleidsvollen Passionsdarstellung der Frühgotik.
Gestalt und Ausdruck
Der Corpus (Höhe: 85 cm, Armspannweite: 100 cm) zeigt nicht mehr den sieghaften Christus (Christus triumphans) mit Königskrone, sondern den toten Christus, der die Leiden bereits überwunden hat.
Die Krone ist durch eine Dornenkrone ersetzt (heute erneuert), das Haupt ist schmerzvoll zur Seite geneigt, der Ausdruck still, aber von den Spuren der Passion gezeichnet.
Besonders auffällig ist die körperliche Linienführung:
- Das kräftige Ausschwingen der Hüften nach rechts verleiht der Figur eine bewegte, fast elegante Silhouette.
- Die Arme hingegen sind ungewöhnlich lang und fast waagrecht ausgestreckt – ein Kontrast, der dem Gesamtbild eine eigentümliche Spannung gibt.
- Sowohl diese Armproportionen als auch die Biegung der Finger führten den Forscher E. Syndikus zur Annahme, dass die Arme später ergänzt wurden – eine Einschätzung, der sich Weiermann anschließt.
Technik und Fassung
Die Figur ist aus Holz geschnitzt und war ursprünglich vollständig polychrom gefasst.
- Das Inkarnat ist heute hell, fast kreidig, mit nur noch partiellen Farbresten.
- Der Lendenschurz zeigt noch Spuren einer grünen Bemalung mit geometrischer Faltenzeichnung.
- Blutspuren sind in erdigem Rot an Stirn, Händen, Füßen und Seite aufgetragen.
Das Kreuz selbst ist schlicht, aus Holz gefertigt, mit leicht gerundeten Kleeblatt-Enden an den Balken.
Kunsthistorische Einordnung
Die stilistische Nähe zur Salzburger Schule gegen Ende des 12. Jahrhunderts ist unverkennbar. Die geographische Nähe Einhartings zu Salzburg macht eine Herkunft oder zumindest einen künstlerischen Einfluss aus diesem Umfeld wahrscheinlich.
Das Werk belegt – trotz der gegenüber dem Forstenrieder Kruzifixus geringeren künstlerischen Raffinesse – die Aufnahme und Weiterentwicklung neuer Ausdrucksformen im Chiemgau um 1200.
In der Darstellung spiegelt sich ein theologischer Wandel: Vom königlichen Herrscher am Kreuz (mit Krone und ohne Zeichen des Leidens) hin zu Christus als leidender Mensch, dessen Passion bewusst in den Mittelpunkt rückt.
Quelle:
Dr. Herbert Weiermann: Heimatbuch des Landkreises Traunstein II. Kultur- und Kunstgeschichte, Abschnitt: „Kunstgeschichtliche Denkmäler“.