Ort und Objekt
Votiv‑/Gedächtnistafel in der Kirche St. Margaretha, Einharting. Bemalte Holztafel in reich geschnitztem, farbig gefasstem Rahmen. Kein Malersignet sichtbar. Datierung durch Inschrift: 1653.
Rahmen
Profilierter Aufsatz mit Mittelgiebel; seitlich eingerollte, durchbrochene Leisten („Schnecken“). Farbigkeit heute: Ocker‑Rot, Graublau, Grün, mit feinen Zierleisten. Auf einer Aufnahme von 1971 sitzt oben ein Strahlen‑Stern. Heute fehlt er. Sonst Aufbau unverändert.
Bildaufbau (drei Zonen)
1) Himmelszone – Krönung Mariens
Goldgelber Wolkenhimmel. Christus links, halbbekleidet im roten Mantel, hält eine silbrige Weltkugel in der linken Hand. Gottvater rechts, bärtig, im ockerfarbenen Mantel, ebenfalls mit Weltkugel. Zwei Weltkugeln sind kurios! Beide setzen Maria die Krone auf. Über ihnen die Taube als Heiliger Geist. Klassisches Trinitäts‑ und Marienkrönungs‑Motiv.
2) Heiligenreihe auf der Erde
Unter der Wolke mit Maria stehen vier Heilige, von links nach rechts:
- Gekrönter Heiliger mit Palmzweig und Kelch: in Fürstenmantel, ohne Bart. Wahrscheinlich Hl. Oswald, städtisch/regional sehr verehrt (Traunstein). Sein Kelch kann auf das „Wasser‑zu‑Wein“-Wunder in der Legende anspielen. Alternativ ließe sich der Kelch auch johanneisch lesen (Johannes der Evangelist mit Giftkelch); gegen Johannes spricht hier jedoch die Königskrone.
- Hl. Margaretha: gekrönt, Palmzweig, Drache zu ihren Füßen. Orts‑ und Kirchenpatronin.
- Hl. Katharina von Alexandrien: gekrönt, Schwert in der Rechten; das Rad fehlt, kommt auf Volksbildern öfter vor.
- Hl. Irmgard vom Chiemsee: Nonnenhabit (schwarz/weiß), Buch in den Händen. Starke lokale Patronin (Frauenwörth).
3) Stifterzone mit Inschrift
Unter der Bildszene zwei kniende Gruppen:
- Links: fünf männliche Figuren in einheitlichem braun‑rotem Sonntagsstaat; vorne der Vater als Erwachsener, dahinter vier Jüngere (Söhne).
- Rechts: sechs weibliche Figuren in schwarzem Kleid mit weißem Kragen und Hauben; vorne die Mutter, dahinter fünf Jüngere (Töchter).
Kleidung bewusst uniform: breite weiße Tellerkragen, lange Ärmel, schlichte Schuhe; Hauben bei den Frauen. Das macht die Gruppe als eine Familie erkennbar und setzt alle gleich „vor dem Himmel“. Darunter ein rechteckiges Schriftfeld.
Inschrift (Lesung und Sinn)
Lesung nach Tafel und Archivabschrift (orthographisch alt, sinngemäß identisch):
„Gott zu Ehrn, auch der Himmelkönigin Maria, Muetter Gottes,
auch den lieben Heilligen Gottes, zu grosser Danckhsagung,
hat der erbare Veicht Pletzauer auf dem obern guedt zu Airting (= Einharting)
und Brigata sein Eheweib diese Epatasiumb (= Epitaphium, Tafel)
alher zu diesem Gottshaus von neuen ihm und seinen Kindern zu einem christlichen Andenken im Jahr 1653 machen lassen.“Kurzfassung: Der Bauer Veicht Pletzauer vom Oberen Gut in Einharting und seine Frau Brigata ließen 1653 diese Tafel erneuern, aus Dank und „zum Andenken ihm und seinen Kindern“. Das Wort „Epatasiumb“ ist eine mundartnahe Schreibweise von Epitaphium – hier schlicht: Tafel
Malweise und Technik
Volkstümliche Barockmalerei aus einem regionalen Werkstattkreis. Öl oder Tempera auf Holz (ohne Befund, aber die Oberfläche spricht eher für Öl auf Tafel).
Kennzeichen: klare Konturen, flächige Farben, wenig Tiefenraum, weiches Wolkensfumato; Heiligensymbole reduziert, Gesichter ruhig, leicht idealisiert.
Heutiger Zustand farbfrisch; gegenüber 1971 offenbar gereinigt/restauriert (damals dunkel und kontrastarm). Der Strahlen‑Stern des Aufsatzes ging seither verloren oder wurde abgenommen.
Gesicherter Hintergrund
- Stifter: Veicht (Veit) Pletzauer und Brigata, Oberes Gut Einharting.
- Anlass: Dankesstiftung („zu großer Dancksagung“) und Familiengedenken („ihm und seinen Kindern“).
- Jahr: 1653.
- Lokaler Bezug der Heiligen: Margaretha als Kirchenpatronin; Irmgard als Chiemsee‑Heilige; Oswald in Traunstein hochverehrt; Katharina als allgemeine Patronin von Standhaftigkeit/Bildung.
Plausible Deutung (Vermutung, sauber getrennt)
- Warum 1653? Unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg. In der Region häuften sich Votivtafeln als Dank für Verschonung, Heimkehr, Seuchen‑ oder Brandüberstehen. Die Tafel nennt keinen Einzelanlass – typisch für „Sammeldank“.
- Kinderzahl im Bild: fünf männlich, sechs weiblich → neun Kinder plus Eltern dargestellt (Vater+4 Söhne, Mutter+5 Töchter). Möglich, dass es noch weitere gab (verstorben oder bereits außer Haus).
- Wahl der Heiligen: Mischung aus Orts‑/Regionalpatronen (Margaretha, Irmgard, Oswald) und einer gelehrten Königin (Katharina). Das wirkt wie eine Familienaufstellung: Schutz für Haus, Feld, Frömmigkeit und Bildung.
- „Von neuen“: spricht dafür, dass es eine ältere (heute verlorene) Tafel gab, die 1653 ersetzt/erneuert wurde – vielleicht nach Kriegs‑ oder Witterungsschäden.
- Fehlender Stern: Verlust zwischen 1971 und heute oder bewusste Abnahme bei Restaurierung; kein Einfluss auf die Ikonographie.
Zusammenfassung zum „Lesen“ der Tafel
Von oben nach unten: Der ganze Himmel (Trinität) krönt Maria. Auf der Erde stehen vier Heilige mit örtlichem Bezug als Fürsprecher. Ganz unten kniet die Stifterfamilie, sauber in Männer‑ und Frauenseite getrennt, gleich gekleidet aus Demut und zur klaren Zuordnung. Die Inschrift nennt die Namen, den Hof und das Jahr und sagt, wozu das Ganze gedacht war: Dank und Erinnerung.