Soleil hört zu
Die Betreiberin des Metaphysischen Cafés heißt Soleil. Niemand weiß genau, ob sie das Café gegründet hat oder ob es sie einfach brauchte. Vielleicht ist es auch umgekehrt. Sicher ist nur, dass es ohne sie nicht denkbar wäre. Soleil ist da und das genügt. Sie steht hinter der Theke, sitzt am Fenster, poliert eine Tasse oder liest in einem Notizbuch. Ihre Präsenz ist leise und hell. Wer sie im richtigen Moment erwischt, also zwischen den Tätigkeiten des Alltags, der darf sich setzen und erzählen. Und Soleil hört zu. So wie man es sich wünscht wenn man schon lange nicht mehr richtig gesprochen hat. Und die Menschen wissen das natürlich. Deshalb kommen sie auch. Immer wieder. Mit ihren Gedanken, ihren Sorgen, ihren schrägen Ideen und den kleinen Katastrophen des Lebens.
Die Kunst des Nicht-Annehmens
Soleil hört zu, sie aber sie nimmt nichts an. Sie kennt sehr gut den Unterschied. Sie weiß, dass Probleme Raum brauchen, um sich zeigen zu können. Sie gibt diesen Raum großzügig. Aber sie hält sich selbst dabei zurück und sie behält nichts. Das Leid, die Unruhe, die Ängste, ja sie hört sie, aber sie bindet sie nicht an sich und das ist wichtig, sie weiss es. Es ist eine Form der Gastfreundschaft, die nicht vereinnahmt und wer schließlich geht, nimmt auch sein Problem wieder mit. Soleil löst nicht die Probleme iherer Gäste. Das kann sie gar nicht und sie weiss es auch. So war es immer. So sollte es sein.
Der Mump taucht auf
Doch eines Tages bemerkt Soleil etwas ziemlivh Merkwürdiges. Es ist kein Geräusch, kein Geruch, auch kein konkreter Gegenstand. Es ist eher, hmm, ein Zustand, ja. Eine Dichte in der Luft, so ein ganz feiner Schleier über den Dingen. Als hätte sich etwas abgelagert. Sie nennt es nicht sofort beim Namen aber sie spürt es ganz deutlich, dabei aber diffus und nicht wirklich greifbar. Ein unangenehmer Nachgeschmack nach einem langen Tag. Die Tassen sind gespült, die Stühle stehen ordentlich aber es ist, als hätte sich das Café selbst nicht erholt. Es wirkt ermüdet. Soleil rätselt.
Die Entdeckung
Am nächsten Tag geschieht es wieder. Es war ein intensiver Nachmittag. Viele Gespräche. Ein paar schwere Themen. Nichts Ungewöhnliches eigentlich. Soleil bleibt ruhig wie immer. Aber als der letzte Gast gegangen ist bleibt etwas zurück. Sie hält inne. Geht durch den Raum. Und da versteht sie es. Es ist der Mump. So nennt sie es ab jetzt. Der Mump ist das, was bleibt, obwohl niemand bleiben will. Er ist das, was sich zwischen Gesprächen und Raum einschleicht. Nicht das Problem selbst sondern das, was vom Problem in der Luft hängen bleibt. Eine Art atmosphärischer Rest. Kein Drama, kein Schmerz, nur ein feiner Film aus Erzähltem. Wie das Kondenswasser nach einem langen Gespräch.
Die Reinigung
Soleil versteht schnell, was zu tun ist. Sie muss es gar nicht analysieren, nicht kämpfen, nichts bekämpfen. Sie muss nur einfach die Fenster öffnen. Frische Luft hineinlassen. Den Raum durchlüften. Nicht aus hygienischen Gründen sondern aus seelischer Notwendigkeit. Der Mump zieht mit dem Luftzug davon. Er verschwindet so leise wie er gekommen ist. Und mit ihm kehrt das Café zurück zu seiner Klarheit. Es atmet wieder.
Ein stilles Wissen
Seitdem weiß Soleil, dass das Zuhören nicht spurlos bleibt. Auch wenn sie nichts übernimmt, auch wenn die Gäste ihre Sorgen wieder mitnehmen, die Gespräche hinterlassen eine Spur. Nicht im Herzen sondern im Raum. Es ist ein feines Gleichgewicht, das gepflegt werden will. Soleil tut das auf ihre Art. Ohne viele Worte. Mit offenen Fenstern und einem Gespür für den Moment, in dem die Luft schwer wird. Das Café bleibt ein Ort des Zuhörens. Aber es ist auch ein Ort, der weiß, wie man wieder frei wird.