War heut in Bernhaupten, St. Jakobus. Im Eingang das Fresko. Kreis im Putz, ursprünglich außen. Regen, Frost, Wind haben’s gegessen. Wangen fort, Mund fort. Augen noch da. Hab „Nimbus“ gelesen in Kunsthistorik-Werk. Dachte erst: Ist Wetter. Nachgeschaut: Nein, nix Wetter, ist Heiligenschein.
No, am Ende ist’s ein Kreis. Licht um Kopf. Reicht.
Gesicht wirkt weiblich. Weiche Stirn, schmaler Kinnbogen. Jakobus? Eher nicht. Vielleicht Maria, mag sein. Vielleicht auch eine Tugend – eher nicht. Oder nur „die, die schaut“. Mutmaßung, ja. Aber Gesicht-Züge sehen nicht aus wie von Mann.
Seh die Arbeit vor mir, als wär ich dabei. Wie ich Täter gesehen in inneres Auge, als ich noch in Helsinki ermittelt, aber vorbei – Gott sei Dank. Hier schöner: Maler auf dem Gerüst, Jakob unten mit Kalk.
„Kalk rühren,“ sagt Maler. Mantel fleckig, Finger bunt, Augen müde. „Nicht zu dünn. Wand muss trinken, nicht saufen, weisst du.“ Jakob stellt sich ganz breit. „Ich nix Junge. Ich Jakob.“
Maler grinst schief. „Dann Jakob. Und nicht schmeiss Putz wie Mist von Kuh, sondern streich Putz wie Butter. Glatt, dünn, gleich.“
Jakob: „Wir haben keine Butter. Wir nehmen Schmalz.“
„Gut,“ sagt der Maler, „dann streich wie Schmalz. Aber streichen – nicht patschen.“
Jakob streicht. Erst zu grob, dann ruhiger. Putz riecht nach Kalk und Regen, Haut brennt an den Knöcheln.
„Was machst du genau?“
„Fresko.“
„Was ist Fresko?“
„Farbe in nassen Putz. Wand saugt, Farbe wird Stein. Muss schnell sein, sonst Putz trocken. Wenn trocken, Farbe bleibt in Putz. Weisst du.“
„Und wenn misslingt?“
„Dann kratzen. Neu.“
Kurzes Schweigen. „Einfach?“
„Nichts ist einfach. Aber vieles geht.“
Maler rührt jetzt Rot aus Erde, Schwarz aus Ruß. Zieht Kreis. Heiligenkreis, Nimbus ist Wort von Kunstgelehrten ich denke und lache.
„Was das?“ fragt Jakob.
„Nimbus. Heiligenschein.“
„Klingt komisch.“
„Ist auch komisch. Kreis mit Licht. Damit jeder gleich sieht: das hier ist heilig, ist nicht Nachbar.“
„Warum am Eingang?“ fragt Jakob.
„Weil alle durch hier. Segen an Schwelle. Auge an Tür.“
„Und innen?“
„Später Fresko. Wenn Geld reicht. Erst Tür. Tür ist Predigt ohne Worte.“
Er skizziert das Gesicht. Hand sicher, Atem ruhig. Linien weich.
Jakob blinzelt. „Sieht aus wie Frau.“
Maler nickt kaum. „Kann sein. Mutter. Schutz. Oder Tugend. Wichtig ist Blick.“
„Mein Vater hat eckigen Kopf,“ sagt Jakob und grinst.
Maler hält kurz inne, lächelt ins Putzgrau. „Dann mal ich ihn lieber nicht. Sonst lacht Dorf hundert Jahre.“
Die Wand trinkt. Farben matt, aber lebendig. Tropfen fallen von der Traufe, mischen sich mit Kalk. Und ich denk: in Finnland hätten wir Runen ins Holz geschnitten. Karg, klar. Hier ist’s Erde im Wasser, Kreis im Regen. Auch schön. Anders.
Heut steht sie da, die Runde, halb verschwunden. Schönheit im Rest, nicht im Glanz. Und irgendwo im Kalk hängen noch zwei Stimmen: der Maler, der „Butter“ sagte und „Schmalz“ bekam. und Jakob, der „Ich Jakob“ sagte und blieb.
Notiz: Ein Kreis reicht, wenn er lange schaut.